Der Kreis schließt sich

Tag 34-36 Mittwoch bis Freitag

Diesen Eintrag schreibe ich zu Hause auf meiner Terrasse. Heute war mein erster Arbeitstag. Er ist gut verlaufen und ich habe mich gefreut, wieder ins Büro zu gehen. Mich erwartete ein Willkommensschild und ein Blumenstrauß. Das tat einfach gut. Ich habe es ruhig angehen lassen und nach fünf Stunden Feierabend gemacht.

Gestern bin ich nach dem Frühstück und der Verabschiedung von einigen wenigen, wichtigen Leuten erst noch nach Oberhof gefahren, bevor ich nach Hause gestartet bin. Ich hatte das Glück, Skispringern beim Üben Zusehen zu können. Das Wetter war perfekt und die Rücktour schnell und staufrei, natürlich mit Lindenberg in voller Lautstärke. Mein Mann kam früher von Arbeit und wir haben mit Freunden gegrillt und später die Niederlage der Deutschen gegen die Franzosen gesehen. Das hat schon ein wenig die Stimmung getrübt. Aber es ist einfach nur schön, wieder zu Hause zu sein. Jetzt fehlt nur noch mein Sohn, dann sind wir wieder komplett.

Habe ich meine Ziele in der Reha erreicht? Was waren sie? Am Tag 1 habe ich sie so formuliert: „Ich möchte merken, wenn ich in Stress rutsche und gegensteuern können. Ich möchte meine Verspannungen aktiv lockern können, besser einschlafen und weniger Kopfschmerzen.“ Eine Menge davon ist erreicht. Ich merke, wenn ich in Stress gerate, wenn die Gedanken um ein Thema kreisen. In der Reha konnte ich meine Verspannungen wieder lösen und ich hatte die letzten drei Wochen fast keine Kopfschmerzen. Das Einschlafen gelang unterschiedlich gut. Allerdings war ich dort auch keinen Tag komplett übermüdet, wie es mir zu Hause oft passiert ist. Also viel erreicht.

Mit dem Blick hinter meine Fassade habe ich auch meine Ziele angepasst. Ich möchte merken, wenn der innere Kritiker mit fiesen Sprüchen das Ruder übernimmt und meine beiden Antreibersätze „Ich will perfekt sein.“ und „Ich will beliebt sein“ mein Handeln und Denken bestimmen. Dazu braucht es aber noch deutlich mehr Zeit als diese fünf Wochen. Und ich will mehr mit meinen Freunden reden, mehr meine Gefühle zulassen. M. hat mir zum Abschied ein Buch geschenkt: “Soforthilfe bei Schwarzsehen, Selbstzweifeln, Pech und Pannen”. Ich glaube, das werde ich noch ziemlich oft benötigen. Sie hat von mir den Link für diesem Blog bekommen und war einigermaßen schockiert, wie ausgegrenzt ich mich gefühlt habe. M. hatte ein ganz anderes Bild von mir. Ich wäre in ihren Augen so tough gewesen… Meine Fassade war ziemlich perfekt.

In diese alten Muster will ich nicht zurück. Mein wunderschöner Ring ist fertig geworden. Ich trage ihn mit Leidenschaft als Erinnerung an diese fünf Wochen und als ein Versprechen:

Mich so zu mögen, wie ich bin.

Besser geht’s nicht

Tag 33 Dienstag

Ein Tag der emotionalen Highlights. Was wähle ich aus? Die Gruppenstunde, in der ich mir zum Abschluss eine Rückmeldung zu einem meiner Themen gegönnt habe? Das Feedback der Therapeutin? Die unerwarteten Gespräche auf dem Gang? Die Erfahrungen in der Pferdetherapie? Oder den Abschluss mit D. auf der Burg?

Das alles waren Erfahrungen, die erst durch die fünf Wochen hier möglich geworden sind. Mit D., den Gruppenverabschiedungen nerven und der daher am See nicht dabei war, noch einmal auf der Burg in den Sonnenuntergang zu schauen, eine Flasche Rotwein zu leeren und über die Zeit hier zu reden, war nur möglich, weil ich den Kontakt trotz gegenteiliger Impulse und Sticheleien nicht beendet hatte.

Die Rückmeldung meiner Bezugstherapeutin, dass sie eine positive Prognose für meine weitere Entwicklung sieht, konnte ich hören, annehmen und mich darüber freuen. Genau mit diesem Gefühl gehe ich auch von hier fort.

Das ist noch keine Entscheidung zur Durchführung der Kieferkorrektur nach der Reha treffen kann und mir ein Feedback aus der Gruppe geholt habe, war auch erst so am Ende der Zeit hier für möglich. Die Impulse aus der Gruppe waren sehr unterschiedlich, ich konnte jeden für sich so stehen lassen und mir die Teile rausnehmen, die ich weiterdenken möchte. Schwer fällt es immer noch anzunehmen, wenn jemand sagt, dass ich eine offene und intensive Ausstrahlung habe und meine Augen das Sprechendste an mir sind. Wobei, wenn man mich fragt, was mir an meinem Gesicht am besten gefällt, würde ich immer meine Augen wählen.

Ja, und dann waren das noch die Pferde. Von M. überredet, bin mit zu einer Therapiestunde außerhalb der Klinik gefahren. Bisher waren Pferde für mich nur furchteinflößend groß und unberechenbar. Vor Aufregung war ich vor der Abfahrt zum Reiterhof mehrfach auf dem Klo und bis zum Koppelzaun mir nicht sicher, ob ich durch die Tür käme. Aber ich will einfach mehr Mut zeigen und mich nicht mehr von meinem Kopfkino an neuen Erfahrungen hindern lassen. Fazit: Pferde spüren sehr genau, was man ihnen anzubieten hat. Ist es Sicherheit und Klarheit, dann nehmen sie es an und lassen sich führen. Sobald man zweifelt oder orientierungslos ist, bleiben sie stehen oder fangen an zu grasen. Ich wusste nicht, was ich mit meinem Pferd machen sollte. Ich hatte keinen Plan und war mit der Kontaktaufnahme beschäftigt. Fühlen, streicheln, Bremsen verscheuchen. Dann habe ich gelernt, es in die Bewegung zu bringen und dem Pferd ein Ziel zu geben, mit mir an seiner Seite als Führung. Beide Pferde konnte ich mehrere Runden führen, auch über Stangen die am Boden lagen. Manchmal blieben sie plötzlich stehen und fraßen, ließen sich keinen Zentimeter mehr bewegen. Dann musste ich sie (und mich) wieder motivieren. Das war richtig anstrengend und nach einer Stunde war meine Kraft erschöpft. Der Therapeut bot mir an, dass ich mich als Entspannung auf das Pferd legen könnte. Das ging nicht für mich. Ich wollte mein Pferd nur noch streicheln, das weiche Fell fühlen, den warmen, starken Körper wahrnehmen. Die Erinnerung daran, was ich immer an Geborgenheit gesucht und vermisst habe, kam wieder und die Trauer war da. So stand ich an das Gras rupfende Pferd gelehnt, eine Hand in der Mähne, guckte in die Landschaft und ließ meinen Tränen freien Lauf. Ich war zufrieden und traurig. Und durfte beides sein.

Abschiedstournee

Tag 31 und 32 Sonntag und Montag

Vor einer Woche hatte ich mein persönliches Waterloo hier, weil ich mich ausgegrenzt und nicht zugehörig gefühlt habe, als alle anderen zum Feiern gegangen sind. Heute Abend ist mein Abschied dran. Ich bin eingeladen worden, ihn gemeinsam mit den anderen, die in dieser Woche noch abreisen werden, zu feiern. Es war ein schönes Gefühl als N. mich gefragt hat. Soeben haben wir uns unabhängig voneinander im Supermarkt getroffen und die notwendige Ausstattung für die Feier am See gekauft. In der Woche, die zwischen diesen beiden Erfahrungen lag, hatte ich fast zu wenig Zeit für mich allein. Jeden Abend trafen wir uns in der Kneipe in unterschiedlich großer Runde und auch die kleinen Verabredungen am Tag mit M. oder D. waren schön. Deshalb bin ich bewusst allein gestern zu dem Platz am Wasserfall aufgebrochen, den ich in den letzten Wochen zweimal besucht hatte. Einmal direkt nach der ersten Stunde Kommunikativer Bewegungstherapie als ich so aufgewühlt und wütend war, dann zum zweiten Mal nach meiner langen Rennsteigtour. Da war ich entspannt und hatte Zeit und Lust zum Fotografieren. Gestern kam ich vor den Besucherströmen dort an und musste feststellen, dass der Platz direkt oberhalb des Falles nun mit einem Tor abgesperrt ist, da die Bergziegen in diesem Bereich unterwegs sind. Aber es war wirklich ok. Dieser Teil ist für mich abgeschlossen. Ich konnte mich an den kleinen See setzen und habe mir ein paar ganz konkrete Punkte notiert, die ich zu Hause umsetzen bzw. beibehalten möchte. Das haben wir (als einzige Botschaft im sonst grottenschlechten) Transfervortrag gelernt: Mach deine Ideen konkret. Lege Zeit und Tag fest, sonst verschiebt man es immer weiter und verliert den Ansatz aus den Augen.

Auf dem Rückweg besuchte ich noch eine Höhle, in die ich es aus verschiedenen Gründen bisher nicht geschafft hatte. Mal war die Zeit zu knapp, dann saßen seltsame Typen am Kiosk vor dem Eingang und schreckten mich ab, mal hatte ich auch schlicht keine Lust. Gestern war es anders. Womit ich jedoch nicht gerechnet hatte war, dass ich komplett allein in die 8 Grad kalte und dunkle Höhle gelassen wurde. Keine weiteren Besucher. Keine Aufsichtsperson. Niemand. Nach den ersten paar Metern gab es einen kleinen Ausstellungsbereich. Ich las gerade eine Infotafel als plötzlich das Licht ausging. Der Bewegungsmelder hatte nichts mehr zu erfassen und so war nur noch das Notlicht an. Mein Herz hämmerte in der Brust und am liebsten hätte ich sofort umgedreht und die Höhle Hals über Kopf verlassen. Ich zwang mich ein paar Meter weiterzugehen und hoffte, dass mit dem Licht auch der Panikanfall vorüber geht. Letztendlich habe ich die gesamte Tiefe der Höhle (rund 300m) erkundet und es hat sich auch gelohnt, sie zu besichtigen. Aber ich war trotzdem froh, als ich das Ende erreicht hatte und umdrehen konnte. Kurz vor dem Ausgang waren dann noch zwei weitere Besucher dazugekommen. Ich bin immer noch stolz, es nicht abgebrochen zu haben.

Für den Nachmittag war ich mit M. in der berühmten Waffelstube des Kurortes verabredet und wir genossen das richtig plüschige Café. Den Abend verbrachte ich ziemlich angematscht mit Tee und einem Gefühl von „Oiii, ich könnte mich erkältet haben“ auf meinem Bett und sah den Franzosen zu, wie sie leider die Isländer aus der EM warfen. Allein dafür müssen wir sie am Donnerstag besiegen. Mein Herz schlägt immer für die Underdogs. Wobei lieber in der Version. Sonst hätte ich mich entscheiden müssen für wen ich in Jubel ausbreche…

Meine Nacht zu Montag war die bisher schlechteste der ganzen Rehazeit. Ziemlich ruhelos wälzte ich mich von einer Seite auf die nächste. Unser Sohn befand sich auf einer langen Busfahrt nach Italien und ich konnte nicht abschalten. Alle rationalen Beruhigungsansätze scheiterten und die Erleichterung kam erst heute Mittag mit seiner Nachricht, dass sie gut gelandet sind, er viel schlafen konnte und WLAN hat.

Trotzdem war ich recht fit und hatte die letzte passive Musiktherapie, die letzte Ergotherapie, den letzten Hydrojet (den werde ich vermissen) und meine Abschlussuntersuchung bei der Stationsärztin.

Jetzt gehen wir feiern. So wie es ausschaut, bleibt es auch trocken. Zumindest vom Himmel.

Nervenkrieg

Tag 30 Samstag

Nachdem ich Freitagabend doch mit in den Musikschuppen gegangen war, gönnte ich mir einmal Ausschlafen und ein spätes Frühstück beim Bäcker (hatte mich schön brav am Vortrag abgemeldet). Leider marschierte eine heftige Kaltfront durch die Region und so regnete es schon am Morgen üppig. D. und ich ließen uns davon nicht abschrecken und hatten eine relativ trockene 11 km lange Runde durch die Drachen- und Landgrafenschlucht. Als wir in den Kurort zurückkamen, schien sogar schon wieder die Sonne. Richtig warm war es allerdings nicht.

Da wir bei bestem Wetter am letzten Sonntag die Plätze draußen für dieses Deutschlandspiel reserviert hatten, ging es um 20:00 Uhr dick angezogen in die Kneipe. Das Spiel, das dann folgte, machte meinen Rehaerfolg fast komplett zunichte. Mein Tipp war ein 2:1 für Deutschland, obwohl mir Italien als Gegner echt schwer im Magen lag. Wir waren wirklich die bessere Mannschaft und das unglückliche Handspiel von Boateng mit dem darauffolgenden Elfmeter einfach Pech. Ich bin von einer Anspannung in die nächste gefallen. Tatsächlich fing mein, bis dahin seit mehr als zwei Wochen beschwerdefreier, Nacken an zu zicken. Ich hoffte bis zur 118 Minute auf ein Müller-Tor. Nichts. Das anschließende Elfmeterschießen war der reinste Krimi. Bis zur Erlösung durch Hector verschwand ich immer mal wieder hinter meinem warmen Kragen der Jacke. Bloß nicht hinsehen. Zum Glück ist das Italien-Trauma der deutschen Mannschaft jetzt Geschichte.

Balance

Tag 29 Freitag

Seit Beginn der Reha übe ich an einer Station im Fitblock den sogenannten „Fallschirmspringer“. Dabei liegt man nur mit dem Bauch auf einem luftgefülltem Noppenkissen und versucht Arme und Beine ausgestreckt vom Boden zu bekommen. Das ist eine schweißtreibende Übung und bisher war es immer eine äußerst wackelige Angelegenheit. Entweder rollte ich zur Seite weg oder hatte nach vorn oder hinten ein Übergewicht. Heute klappte es im ersten Durchgang, im zweiten und im dritten. Mit einem kurzen Austarieren blieb ich die geforderte Zeit wackelfrei in der Luft. Einfach genial. Auch das Gefühl dazu. Die Beats der Musik für die Steppbrettnutzer hämmerten im Hintergrund, meine Atmung war ganz fokussiert auf den Moment und das Aha-es-geht-Erlebnis phänomenal.

Ähnlich ergeht es mir auch zu Hause auf der Slackline. Wenn ich ganz konzentriert auf mein Tun bin, komme ich ohne Wackler über das Band. Sobald meine Gedanken abschweifen, krache ich runter. Das sind für mich die richtigen Achtsamkeitsübungen, wenn ich direkt und unmissverständliche die Botschaft erhalte, so geht es oder so geht es eben nicht. Ich bin ernsthaft am Überlegen ein Wackelkissen für daheim anzuschaffen. Unabhängig vom Entspannungseffekt ist es eine geniale Bauch-Po-Rücken-Übung die mir Spaß macht (und fiesen Muskelkater beschert). Das habe ich hier ebenfalls gelernt, nur was echt Freude macht, integriert der Mensch ohne Stress in seine Freizeit. Der Rest bleibt Verpflichtung ohne Lustgewinn und wird als erstes geopfert, wenn die Zeit vermeindlich knapp ist.

Der innere Kritiker

Tag 27-28 Mittwoch und Donnerstag

Oh nee, nicht noch ein Bewohner. Mein inneres Kind und seine Bedürfnisse reichen mir eigentlich schon. Jetzt auch noch dieser Kerl, mit dem man sich beschäftigen sollte… Jetzt ist doch mal genug.

Oder doch nicht?

Durch den Kontakt mit M. bin ich an das Buch: „So gewinnen Sie mehr Selbstvertrauen. Sich annehmen. Freundschaft mit sich schließen, den inneren Kritiker zähmen“ gekommen. Ich habe es ziemlich in einem Rutsch durchgelesen. Sind auch nur 140 Seiten. Das Ganze ist als Übungsbuch gedacht. Das heißt man darf es zu Beginn schnell lesen, dann sollte man oder frau sich aber über drei Monate täglich 30 Minuten Zeit nehmen, um in dem Buch zu lesen und damit zu arbeiten. Puh… Ist das realistisch?

Die mögliche Erkenntnis nach dieser Dompteurleistung mit dem inneren Kritiker ist natürlich bestechend:

An dir ist nichts verkehrt, auch wenn du das Gefühl hast, mit dir stimme etwas nicht.

Du bist liebenswert – auch wenn du nicht perfekt bist.

Der Test im Stressseminar hat gestern folgende Antreibersätze für mich (nach den Erfahrungen der letzten Wochen nicht sehr überraschend) zum Vorschein gebracht:

Sei beliebt!

Sei perfekt!

Das impliziert als Aufforderung natürlich immer die Tatsache, dass ich es nicht bin. Ja, mein Verstand weiß, dass es niemand perfekt sein kann. Aber Dank dem vorlauten Kritiker sind die Gefühle immer schneller.

Ich wage mich an das Thema. Auch wenn mir die Übungen echt schwer fallen werden. Beispielübung 15: Sag zu dir: Ich mag dich … dann sag dir fünf Dinge auf, auf die du stolz bist oder die du an dir magst… Wow.

Die Gespräche mit M. fordern mich zum Umdenken auf. Allerdings weiß ich nicht, wie M. die Umsetzung für sich schaffen will, wenn sie auf andere schaut.

Die andere M., die mit mir angereist war und auch fünf Wochen bleiben sollte, ist heute vorfristig abgereist. Ich hatte mich aus dem Kontakt zurückgezogen, nachdem es ihr so schlecht ging und sie mir auch unterschwellige Vorwürfe gemacht hatte. Wir saßen immer noch am Tisch nebeneinander. Meist kam nur eine oberflächliche Unterhaltung zu Stande. Mein übliches Verhalten wäre gewesen, sie weiter aktivieren oder auch kontaktieren zu wollen. Das habe ich bewusst unterlassen. Trotzdem hatte ich ihr gestern eine nette kleine Karte zum Abschied geschrieben.

Heute bekam ich ebenfalls eine mit folgenden Worten ins Postfach: „… gerne hätte ich dir mehr von meinen anderen Seiten gezeigt, die auf der Vorderseite nicht vermerkt sind, doch du konntest nicht stehenbleiben, um sie zu sehen. Danke für unsere ersten Gespräche …“ Die Karte hatte ich ihr, als Katzenliebhaberin, am Anfang der Reha geschenkt. Sie zeigt die vielfältigen Ausdruckmöglichkeiten der Stubentiger und ist das Bild von heute (und ebenfalls von http://www.juniemond.wordpress.com).

Damit muss ich klarkommen. Ich hatte mich gegen die Beziehungsarbeit entschieden, dann muss ich auch mit Kritik rechnen. Aber es ging nicht so tief wie befürchtet. Vielleicht weil ich auf mich gehört hatte und nicht ihr Wohlbefinden in den Vordergrund gestellt haben. Ich konnte sie nicht anschieben und wollte es dann auch nicht mehr. Die Energie habe ich für mich benötigt.

“Das ist egoistisch. Hast du nicht gesehen, wie schlecht es ihr ging?”

“Doch, habe ich. Aber ich bin hier, weil ich lernen will, mich um mich selbst zu kümmern. Und für dich vorlauten Kerl finde ich auch noch den richtigen Platz.”

Praxistest für (neue) Muster

Tag 25-26 Montag und Dienstag

Mein Selbstwertgefühl ist im Wochenende stecken geblieben. Oder es kam mir am Montagmorgen im Frühstücksraum abhanden. Eine Frau begrüßte mich mehr als zurückhaltend und auch in der Gruppe der Aquafitnessleute fühlte ich mich isoliert und nicht zugehörig. Warum? Keine Ahnung. Vielleicht weil ich am Freitag nicht mit zum Tanzen war, da hatte ich mich für das ruhige Gespräch mit D. entschieden. Fehler? Keine Ahnung. Mir war nicht nach Party. Grundsätzlich habe ich immer mehr von direkten 1:1 Kontakten mit anderen Menschen. Außerdem gab es ein paar interessante Parallelen in seinen und meinen Problemlagen. Er tickt ganz ähnlich. Dazu kommt, ich fühle mich selten in Gruppen wirklich wohl. Es ist immer anstrengend für mich. Daher war der ruhige Abend in der Kneipe einfach die passendere Wahl. Aber die Partyerfahrungen der anderen fehlten mir und diese Gruppe hatte dadurch noch enger zusammengefunden. Ich blieb weiterhin außen vor.

Am Montagnachmittag war ich mit zwei Frauen in einem ca. 15 km entfernten Kurort. Eigentlich wollte ich dort allein hinfahren. Weil die beiden aber nach der Ergotherapie fragten, ob wir zusammen einen Kaffee trinken wollen und ich mich eh schon so ausgegrenzt gefühlt habe, habe ich sie zur Fahrt eingeladen. Dabei wollte ich mir die Saline in Ruhe ansehen und eigentlich keinen Stadtbummel machen. So haben wir beides versucht und irgendwie kam auch beides zu kurz. Die Lebensgeschichte der einen Frau aber war wirklich spannend und ich fand es faszinierend, wie sie sich optisch verändert hat, wenn sie lachte. Als wir ganz knapp vor dem Abendessen zurück zur Klinik kamen, bewegte sich eine riesen Gruppe gerade zum Abschiedfeiern in die Kneipe. Ich war nicht eingeladen. Ich gehörte ja auch nicht dazu. Mich fragte dann noch jemand, ob ich auch käme, aber da hatte ich innerlich schon damit abgeschlossen. Trotzdem blieb das schale Gefühl ein Außenseiter zu sein und ich grenze mich natürlich auch selbst wunderbar damit aus.

So ging ich in den Abend und traf mich mit D. Wir landeten in der gleichen Kneipe, wie die, die Abschied feierten, blieben aber beide bewusst im Freien sitzen. Ab und an gesellte sich ein Raucher dazu, aber wir haben zur Gruppe Distanz gehalten. Dann erzählte mir D., dass die Frau, die mich am Morgen geschnitten hatte, auch ihn nun ignoriert, obwohl sie eigentlich einen sehr intensiven Gesprächskontakt hatten. Das brachte mein emotionales Fass zum Überlaufen. Ich hatte den Flashback zurück in meine Schulzeit. Auch dort gab es diese Mädchenspielchen, die ich nie durchschaut habe und in die ich auch nie gepasst habe. Dieses elende Schmollen und Ausgrenzen. Schon immer konnte ich mich gut mit Jungs und später mit Männer verständigen. Und schon immer gab es dann Mädchen und später Frauen, die darauf heftig reagiert haben.

Ich habe an dem Abend jedoch definitiv überreagiert und gesagt: „Hätte ich gewusst, dass da Besitzansprüche ins Spiel komme, dann hätte ich keine Gespräche mit dir geführt.“ Zu Recht hat das D. getroffen. Wir sind dann mit anderen zur Klinik zurück und D. hat später per WhatsApp den Kontakt mit mir für beendet erklärt. Puh. Das saß. Kontaktabbruch ist doch mein Muster! Ich habe noch geantwortet, dass ich das so per WhatsApp nicht akzeptiere, wenigsten ein kurzes Gespräch noch möchte und mich auch entschuldigt für meine Reaktion. Er las es nicht. Die Nachricht konnte nicht zugestellt werden. Somit war entweder das Handy aus oder mein Kontakt gelöscht. Ich hatte nicht einmal die Chance bekommen, mich zu erklären.

Beruhigt sah ich am nächsten Morgen, dass D. die Nachricht zumindest gelesen hatte. Eine Antwort bekam ich allerdings nicht.

Eigentlich wollte ich am Dienstag ein Thema in die Bezugsgruppe einbringen. Vor dem Abendeklat hatte ich in aller Ruhe mir die wichtigsten Stichpunkte zusammengeschrieben. Aber mit dem völligen Zusammenbruch meines Selbstwertgefühls und dem Flashback zurück in meine Jugend, konnte ich kaum etwas sagen in der Gruppe, geschweige denn mein Thema diskutieren lassen. Das tat dann überraschenderweise M. Sie beschrieb mit ihrem Problem genau mich. Sie reagiert anders. Während ich meine Fassade hochziehe, mimt sie die Fröhliche und kümmert sich um alle. Aber das zu Grunde liegende Muster ist die gleiche: Ablehnung der eigenen Person. Das nicht spüren können, dass man passt, so wie man ist. Sich selbst zu mögen. Gut und gnädig zu sich selbst zu sein. Lob spüren zu können. Nicht nur (vermeintliche) Kritik.

Ich bedankte mich bei M. für ihren Mut und ging komplett aufgewühlt in die Kommunikative Bewegungstherapie. Dort waren D. und auch die Frau, die scheinbar in Konkurrenz zu mehr steht, Teilnehmer der Gruppe. Das Ungeklärte stand im Raum und war für mich fast greifbar. Aufgabe der Stunde war an Hand von frei zu wählenden Materialien pantomimisch zu erklären, wie wir hergekommen sind, was wir hier bekommen haben, was wir hier lassen wollen und was wir mitnehmen. Was ich hier erfahren habe, ist wieder ein Gespür für mein Wohlbefinden und für meine Geborgenheit. Ich weiß, wie ich es bekomme, woher ich es nicht mehr bekomme (von meinen Eltern) und wie gut es tut. Mich hat es emotional so aufgelöst, dass ich den Raum verlassen musste. Ich wollte vor den anderen nicht weinen, war aber so unendlich traurig. Ich konnte jedoch nach ein paar Minuten in den Raum zurückkehren und weiter an der Stunde teilnehmen. Das war eine ganz wertvolle Erfahrung, denn die Gruppe sollte für jeden Teilnehmer das zusammenstellen, was er oder sie für den weiteren Weg benötigt. Das hat in meinem Fall dazu geführt, dass die Gruppe mich in mehrere Decken gewickelt hat und ich ganz viel Wärme und Nähe der Gruppe gespürt habe. Die Frau, die in die Distanz zu mir gegangen war, blieb auch während der Übung mit einer anderen dort. Aber das war nicht entscheidend für das Gefühl des Angenommenseins. Der Therapeut begleitete es in der Auswertung mit den Worten: „Sie wissen was Sie brauchen. Sie können es zeigen und Sie haben es bekommen. Trauen Sie sich.“ Vollständig geflasht von den Emotionen, wollte ich nur zurück in mein Zimmer, um mich wenigstens bis zum Mittagessen wieder beruhigt zu haben. Da sprach mich D. noch an, wie es mir geht und wann wir reden wollen. Das war dann endgültig zu viel an Zuwendung und ich bin in mein Zimmer geflüchtet. Halbwegs wieder hergestellt, ging ich zum Mittagessen. Ich lief M. über den Weg, die mir genau ansah, was in mir seit der Gruppenstunde passiert war. Wir lagen uns direkt vor dem Speisesaal heulend in den Armen und es war mir scheißegal, wer mich dabei sah. Sie fühlte sich sofort verantwortlich für meine Gefühle (wie gut ich das nur kenne…) und wir bestätigten uns gegenseitig in Tränen aufgelöst, dass es ok ist, wie wir sind und wir in den Kontakt miteinander gehen sollten.

Alle weiteren Termine für den Nachmittag habe ich abgesagt. Ich bin zu der kleinen Manufaktur im Ort gelaufen. Dort gefiel mir schon seit Tagen ein Ring mit einem bestimmten Muster. Jetzt wird er für mich in meiner Größe und in einer bestimmten Form individuell angefertigt. Bis zu meiner Abreise wird er fertig sein und vielleicht funktioniert er als Erinnerung an meine Muster und auch als Erinnerung an meinen Wert.

Mit D. hatte ich später ein langes Gespräch im Cafè. Er hat meine Entschuldigung akzeptiert, seine Reaktion erklärt und wir halten den Kontakt. Ich habe beschlossen, ich ziehe mir die Jacke mit der anderen Frau nicht an. Es hat nichts mit mir zu tun. Ich muss mich nicht zurückziehen, damit es dem anderen besser geht. Kontaktabbruch ist nicht die Lösung für alle schwierigen Situationen. Für mich war es schon immer möglich, mit Männern befreundet zu sein ohne irgendwelche weitergehenden Interessen. Ich liebe meinen Mann. Aber deswegen keinen besten Freund zu haben, kam mir noch nie in den Sinn. Wir haben das gestern auch noch diskutiert. Alle waren verwundert, dass mein Freund mich hier am letzten Wochenende besucht hat und ich letztes Jahr lange in den Alpen mit ihm allein unterwegs war. Das wäre sehr außergewöhnlich. Für mich ist es das nicht. Es ist für mich normal. Diese Normalität im Umgang mit anderen Menschen, unabhängig von deren Geschlecht, ist mir jedoch irgendwie erst jetzt bewusst geworden. Ich möchte sie behalten. Allerdings schätze ich das Vertrauen meines Mannes (und meines auch ihn) nach diesem Gespräch deutlich mehr. Also wenn du es liest: „Danke, für diese sichere Basis unserer Beziehung. Ich liebe dich.“

Besser als gedacht

Tag 22-24 Freitag bis Sonntag

Jetzt rennt hier die Zeit. Freitag war nur ein halber Rehatag mit Bezugsgruppe, Ergotherapie und Entspannung mit Klangschalen. Darauf hatte ich mich richtig gefreut. Meine erste Erfahrung mit den Klangschalen in der letzten Woche war ein voller Erfolg. Am Abend danach war ich vollkommen beschwerdefrei und bin es eigentlich seit dem immer noch. Jedenfalls im Nacken-Schulterbereich. Dagegen kämpfe ich seit einigen Tagen mit einer Zerrung in der Wade. Im Rückblick betrachtet haben die Klangschalen keine Lockerung der Beinmuskulatur gebracht – wohl aber ein echtes Entspannungsgefühl. Am Spätnachmittag bin ich dann wieder in das Waldbad gefahren. Ich hatte ein paar Leute zum Mitkommen überreden wollen, aber alle hatten noch Nachmittagstherapien. Egal. Ich hatte mir einen neuen Krimi auf den Reader gezogen und bin zum Schwimmen. Leider vertrieb mich eine dunkle Wolke vorzeitig. Heftige Windböen hatten fette Äste auf die Straße geworfen und ich war froh, ohne Probleme zurückgekommen zu sein. Am Abend zog eine Gruppe in die ortsansässige Disko. Das Wetter war aber zu schön für einen Keller und ich habe mich für ein Bier in der Kneipe mit Burgblick entschieden. Mit D. saß ich in der Abendsonne und wir hatten ein recht offenes und persönliches Gespräch über die Gründe, die uns hierher geführt haben. Jedenfalls so offen, wie es zwei Typen wie uns möglich ist. Leider hatten wir dann kurz vor Mitternacht noch Hunger. No way in diesem Ort. Also verspeiste ich die letzte Birne in meinem Zimmer und ging irgendwie hungrig zu Bett.

Samstag kam dann mein bester Freund für ein kurzes Wochenende vorbei. Wir hatten eine schöne Runde über den Rennsteig und hätten es auch fast trocken bis zum Auto geschafft. So sind wir noch einmal richtig nass geworden. War aber egal. Das Wetter hatte viel besser gehalten, als alle Prognosen es vorhergesagt hatten und es war warm. Vollgefressen nach einem leckeren Abendessen war das langweilige, taktische Spiel der Portugiesen gegen die Kroaten eine einschläfernde Partie.

Auch am Sonntag hatten wir blauen Himmel und Sonne beim Aufstehen, eine trockene Wanderung und mit der Wartburg auch noch Kultur vom Feinsten. Das 3:0 der deutschen Mannschaft gegen die Slowakei rundete den Tag ab. Perfekt mit einem guten Freund an der Seite und vielen dummen Sprüchen in der Gruppe beim Fußballgucken in der Kneipe. Ist ein bisschen Ferienlagerstimmung aufgekommen. So macht das Leben Spaß.

Sunshine, Sunshine Reggae

Tag 21 Donnerstag

Jetzt bin ich drei Wochen hier. Vor der Reha hatte ich gedacht: „Fünf Wochen? Was soll ich fünf Wochen dort? Ich versuche nach spätestens vier wieder nach Hause zu kommen.“ Mittlerweile habe ich fast Panik, dass in zwei Wochen alles vorbei ist und ich im Alltag bestehen muss. Außerdem ist endlich das Wetter perfekt. Gut, der Sommer hat die Zwischentemperaturen ausgelassen. Sie sind direkt von 17 auf 33 Grad geschnellt, aber die Sonne und Wärme sind herrlich. Jedenfalls wenn man Zeit hat, sie draußen zu genießen. So langsam merke ich auch den Erholungseffekt und eine gewisse Leichtigkeit im Sein, mehr Genuss weniger Muss. Blöder Schüttelreim. Aber er trifft das Gefühl von Sonnenbrille auf, Fenster runter und sich den warmen Fahrtwind um die Nase wehen lassen.

Da sich hier die eher psychologisch orientierten Therapietage mit den körperlich aktiven Sporttagen abwechseln, hatte ich heute einen echt schweißtreibenden Tag. Morgens eine Schlammpackung. Schön in Folie eingewickelt, schwitzte ich 20 Minuten wie in einem Dampfgarer vor mich hin. Dann 20 Minuten Pause und einen Block im Fitnessraum. Selbst der Trainer war danach komplett durchgeweicht. Also bin ich nochmal unter die Dusche. Das Mittagessen habe ich möglichst früh eingenommen, um es halbwegs bis 13:00 Uhr verdaut zu haben, da startete die Nordic Walking Runde. Zum Glück waren etliche Teilnehmer nicht so übermotiviert wie sonst und wir haben es ruhig angehen lassen. Mittlerweile stand die Sonne im Zenit und auch im Wald war es dampfig warm. Wir haben gemeinsam mit der Sportlehrerin abgekürzt und uns zum Kneippbecken verzogen. Entweder bin ich durch die häufigen Anwendungen schon abgehärtet oder die Umgebungstemperatur spielt doch eine größere Rolle. Ich schaffte problemlos drei Durchgänge. Der Erfrischungseffekt war phänomenal und im ganzen Körper spürbar. In der Klinik zurück war diese Auswirkung allerdings schon wieder Geschichte. Also kurz abgeduscht. Wieder mit Wasser und Kaffee großzügig aufgefüllt, stand ich um 15:00 Uhr vor dem Entspannungsraum. Der liegt direkt unter dem Dach des Hauses. Kein Windhauch bewegte die aufgeheizte Luft. Die Ledersessel werden zwar mit einem dünnen Fleecelaken überzogen, diese klebten aber schon nach 10 Minuten klitschnass am Körper. Nur nicht einschlafen, nur nicht einschlafen… Das ist meine größte Sorge. Bei der Einführung vor drei Wochen wurde uns gesagt, dass dies nicht das Ziel ist und wir uns wachhalten sollen bzw. geweckt werden würden. Seitdem habe ich leichte Panik wegzunicken, das stand bisher meinem Entspannungsprozess im Weg. Heute war es anders. Die Therapeutin erlaubt uns einzuschlafen und versprach, nur bei ganz störendem, lautem Schnarchen zu handeln. Was soll ich berichten? Die Entspannung mit der Technik der Körperwanderung funktionierte. Nach wenigen Minuten fing mein Bauch an zu gluckern, meine Arme und Beine waren angenehm schwer. Eingeschlafen bin ich nicht. Hatte aber diesmal auch keine Angst davor.

Jedoch danach wieder in die Bewegung zu kommen, war richtig schwer. Ich wollte heute unbedingt schwimmen, aber die Vorstellung am Abend ins ebenfalls dampfige Hallenbad zu gehen, stieß mich ab. Zum Glück habe ich jetzt ein Auto hier und bin in ein Waldbad gefahren. Das große Becken war meistens leer und ich konnte meine Bahnen im eiskalten Wasser ziehen.

Faul lag ich nach dem Abendessen im Zimmer herum. Eigentlich wollte ich noch den Post von gestern fertigschreiben. Irgendwie bekam ich die Gedanken dazu nicht lesbar dargestellt und ich dokterte den ganzen Tag schon am Text herum. Aber eine Einladung auf ein kaltes Bier, die ich erst ausgeschlagen hatte, überzeugte mich dann doch. Und der Wetterbericht. Neue Gewitter drohen und wer weiß, wann man wieder abends im Biergarten sitzen kann. Außerdem hatte ich nur noch lauwarmes Wasser im Zimmer, also aufgerafft und nette Gespräche bei eiskaltem (alkoholfreiem!!!) Bier gehabt. Ja, das war auch ein Stück Urlaubsfeeling.

Übrigens schrieb sich nachts der erst so sperrige Eintrag dann fast von allein…

Immer noch Ich

Tag 20 Mittwoch

Arghh! Frühsport um 7:00 Uhr. Wird nicht besser mit mir. Das ist nicht meine Zeit. Erst recht nicht nach einem langen Fußballabend mit Bier. Ich habe mich trotzdem um 6:45 Uhr aus dem Bett gequält, um dann beim Eintreffen des Sportlehrers festzustellen, dass ich schon eine Unterschrift hatte. Der Trainer der Aquafitness hatte sich anscheinend am Vortrag vertan und beides abgezeichnet. Ich hätte liegenbleiben können ohne dass es aufgefallen wäre. Mist. Ich hätte natürlich auch einfach so schwänzen können. Aber das liegt mir nicht, da halte ich mich zu sehr an aufgestellte Regeln. Das gibt mir Sicherheit – auch wenn es mir gar nicht gut tut. Ich bin beim Frühstück vor Müdigkeit fast in den Teller gefallen. Das fiel schon meinen Tischnachbarn auf. Noch ein Lernfeld für mich.

Bis 9:00 Uhr hatte ich mich dann wieder einigermaßen auf der Reihe und ging in meine Einzeltherapiestunde. Meine Erfahrungen der gestrigen KBT-Einheit standen im Mittelpunkt. Das war richtig gut, bot es mir die Möglichkeit noch einmal mit einem Tag Abstand darüber zu reflektieren, wie ich mich verhalte. Warum achte ich so viel mehr auf andere als auf mich? Wie können meine Bedürfnisse und die meines inneren Kindes besser gehört und letztendlich auch befriedigt werden, so dass es nicht unglücklich oder schmollend in der Ecke sitzt? Es tat gut zu hören, dass ich mich sehr mutig meinen Ängsten, die mit Schuldgefühlen und Scham verbunden sind, gestellt habe. Vorsichtig probiere ich Verhaltensweisen aus, die ich vorher vermieden habe. Stück für Stück. Trotzdem tut es immer noch sehr weh, sich eingestehen zu müssen, dass ich mich jahrelang als nicht passend aber verantwortlich für die Situation der anderen gefühlt habe. Ob das wirklich so war? Kann ich nicht beantworten. Die Wahrheit liegt immer im Auge des Betrachters. Meine Mutter würde es sicher ganz anders sehen. Meinen Vater, meine Großmutter kann ich nicht mehr fragen. Ich bin so traurig und verletzt über die Abwertung meiner Person, die ich komplett verinnerlicht habe. Als Kind war es überlebensnotwendig mir Zuwendung von außen zu holen, indem ich erspürt habe, was der andere gerade braucht oder von mir erwartet, weil diese Zuwendung nicht von alleine kam. Als Erwachsene ist es das nicht mehr so. Mein Ich darf einen deutlich größeren Raum einnehmen. Ich kann für mich selber sorgen, mich selbst wertschätzen. Kindheit ist kein Schicksal, das unabwendbar ist. Wie heißt der Titel des Buches von Ben Furman? „Es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit“.

Aber es ist schwer. Gnädig mit mir umzugehen. Mit dem Mich-hinten-anstellen, habe ich auch eine machtvolle Position. Mir erzählen die Menschen viel. Ich versuche mit meinem Verhalten, Einfluss auf die Gefühle des anderen zu nehmen. Was ich von mir zeige, entscheide ich. Das ist manipulativ und definitiv nicht authentisch. Wahrscheinlich führt es auch oft dazu, dass sich Menschen von mir abwenden, weil sie mich nicht greifen können. Mit dieser Ablehnung beginnt dann der Kreislauf von vorn. Dabei funktioniert es ja nicht mehr. Das habe ich schon begriffen. Aber wie ändert man so manifestierte Verhaltensmuster? Mit Geduld. Ich weiß. Die habe ich aber nicht. Das sagte ich auch der Therapeutin und fragte, ob man es überhaupt je schaffen kann. Sie hat mich gelobt, wie reflektiert und weit ich doch schon bin, obwohl ich fast keine Therapieerfahrung habe.

Das hier gerade zu notieren, fällt mir richtig schwer. Lob zu erhalten und auch noch stolz darauf zu sein, ja es selbst ein Stück weit so zu sehen, das ist doch arrogant. Ein anderer, der das liest, denkt doch bestimmt… Stopp! Da ist dieser verfluchte innere Kritiker. Ich bin schon ein ganzes Stück vorangekommen. Ja, und ich bin reflektiert. Ja. Punkt. Die praktischen Übungen dazu folgen. Jetzt sollte ich dabei auch einmal innehalten, mich an dem Erreichten freuen und mich vielleicht auch mit irgendeiner Kleinigkeit belohnen, meinte die Therapeutin. Innehalten? Belohnen? Äh? Wie? Wofür? Praktische Übung: Sich selbst danken.

Also bin ich losgezogen und habe versucht, etwas Passendes zu finden. Es sind zwei Postkarten geworden. Eine davon wird das heutige Titelbild und beide Karten sind von der Künstlerin Sabine Mielke; Juniemond. Sie hat auf WordPress auch einen Blog www.juniemond.wordpress.com

Eigentlich wollte ich am Nachmittag eine größere Runde Walken gehen, hatte eine lose Verabredung, aber ich bin lieber unter meine Bettdecke gekrochen und habe ein wenig gedöst. Dafür hatte ich dann den Abendlauf auf die Burg und dort einen fantastischen Sonnenuntergang. Später kam der Burgwächter um die Flagge einzuholen und abzuschließen. Er hatte Lust zum Erzählen und so endete der Tag mit einer kleinen Anekdotensammlung aus der Region.